KI und Menschlichkeit – wie entwickelt sich die Arbeitswelt der Zukunft? Ein Ausblick.
- Thorsten Reimann
- vor 1 Tag
- 5 Min. Lesezeit
Das Thema KI elektrisiert und verändert die Arbeitswelt der Zukunft. Welche Bedeutung hat Menschlichkeit und worin liegt der besondere Turning Point für Unternehmen?

Die Arbeitswelt der Zukunft wird anders aussehen als die Arbeitswelt der Gegenwart. Diese Erfahrung macht jede Generation aufs Neue. Veränderungen sind Teil unserer modernen Lebenswelt und niemand kann sicher vorhersagen, was in Zukunft passieren wird und welche der vielen technischen Innovationen unser Leben verändern, bereichern und prägen werden – so wie beispielsweise das Auto, das Flugzeug, Mobiltelefone oder demnächst fortschrittliche KI-Systeme im Alltag.
Künstliche Intelligenz ist Werkzeug und Türöffner
Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) als Zukunftstechnologie elektrisiert aktuell Investoren, Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Regierungen gleichermaßen. KI wird bereits seit einigen Jahren zur Auswertung großer Datenmengen oder im Automobilbereich als Fahrerassistenzsystem eingesetzt, genauso im Bereich der medizinischen Diagnostik, beim Online-Shopping oder bei der Steuerung von industriellen Produktionsprozessen. Aktuell faszinieren Large Language Model (LLM) – Systeme Menschen auf der ganzen Welt: plappernde Systeme, die Billiarden Parameter verarbeiten, um natürlich und scheinbar vernünftig sprechen und antworten zu können. Oder noch verblüffender Text-to-Video-KI-Systeme, die aus einfachen Textanweisungen fotorealistische Videoclips erstellen. Tatsächlich ist KI zuallererst ein von Menschen entwickeltes Werkzeug und ein Türöffner – ein Schlüssel für Türen allerdings, von denen wir aktuell nicht einmal wissen, dass es sie gibt.
Der Fachkräftemangel wird nicht durch KI gelöst
Die Veränderung unserer Arbeitswelt hat bereits begonnen: die sogenannte ‚Boomer-Generation‘ geht kontinuierlich in den Ruhestand - und aus den vielen Fachkräften werden sehr wenige. In den kommenden 10 Jahren bis Mitte 2030 wird die Zahl der Rentner ab 67 Jahren um etwa 4 Millionen auf insgesamt über 20,0 Millionen steigen (Quelle: Statistisches Bundesamt). Und wer es sich leisten kann, geht früher: mit 60 oder mit 63 Jahren. Die Folgen dieser Entwicklung: der Fachkräftemangel nimmt drastisch zu. Bereits jetzt sind Fachkräfte im öffentlichen Sektor, in der Verwaltung und im Gesundheitswesen, wie z.B. Pflegekräfte, Ärzte und Gesundheitsmanager gefragter denn je, genauso wie Techniker, Ingenieure oder IT-Spezialisten bei kleinen, mittleren und großen Unternehmen, beispielsweise aus den Bereichen Maschinenbau, Elektrotechnik, Chemie oder Automotive.
Angesichts einer solchen Entwicklung erscheint manchen Entscheidern das Thema KI als Lösung naheliegend: mehr Einsatz von KI-Systemen, um die Lücken in Verwaltung, Entwicklung und Produktion zu schließen. Auch HR-Abteilungen großer Unternehmen verwenden bereits KI, um geeignete Bewerber für offene Stellen zu identifizieren: Bewerber kommen erst dann in die nächste Runde, wenn die digitalen Bewerbungsunterlagen mit den richtigen Schlagworten und Leistungskombinationen des Unternehmens-Algorithmus matcht. Interessant dazu: findige Bewerber nutzen das geschickt aus und verwenden ihrerseits KI zur Erstellung von Bewerbungsunterlagen, um den Algorithmus auszutricksen – ganz sicher nicht der gedachte Weg, um die wirklich geeigneten Kandidaten zu finden – aber menschlich kreativ.
In der Arbeitswelt der Zukunft werden Arbeitnehmer von Künstlicher Intelligenz begleitet und vielleicht auch entlastet – so weit die Theorie. Die Grenzen dieser neuen, zukünftigen Arbeitswelt stecken allerdings im System der KI selbst, denn je mehr solcher Systeme eingesetzt werden, umso deutlicher treten die Defizite hervor – jenseits aller Euphorie über gewaltige und bislang ungeahnte Geschwindigkeits- und Leistungszuwächse hinaus.
Vielleicht ist genau jetzt, am Beginn eines KI-Booms, der richtige Zeitpunkt, einen sehr naheliegenden Begriff in den Fokus zu nehmen, der gerade in Zeiten von KI-Systemen seine Renaissance erleben und wiederentdeckt werden kann.
Wenn wir von Menschlichkeit sprechen, haben wir eine verbindende Vorstellung davon, was damit gemeint sein könnte, als Mensch: Gefühle und Emotionen gehören dazu, etwa Freude, Schmerz, Glück und Trauer, aber auch Sorge, Schutz, Verantwortung und Selbstlosigkeit.
Der Begriff der Menschlichkeit ist der notwendige Gegenpol einer noch stärker werdenden Digitalisierung unserer Welt, im Privaten genauso wie im Beruflichen. Menschlichkeit lässt sich weder ersetzen noch simulieren – sie ist eine Eigenschaft, die uns Menschen elementar auszeichnet. Dagegen KI: sie ist per se nicht menschlich, denn jede KI ist maximal eine Annäherung an eine Idee aus den Köpfen ihrer Schöpfer, nicht mehr und nicht weniger.
Aus diesem Grund kann die Bedeutung von Menschlichkeit im Unternehmenskontext nicht hoch genug bewertet werden – mehr noch: sie wird der eigentliche Turning Point für erfolgreiche Unternehmen der Zukunft.
Folgende fünf Punkte mögen das veranschaulichen:
1. Menschlichkeit und Verantwortung
Als Mensch stehe ich immer in der Verantwortung: für mich selbst, für meine Familie, als Mitarbeiter und Führungskraft für mein Unternehmen. Meine Entscheidungen zeichnen mich aus, formen mich und geben mir eine Richtung. Verantwortung zu tragen ist Teil des Menschseins, sie kann nicht auf KI-Systeme übertragen werden außer in definierten Teilbereichen.
2. Menschlichkeit und Urteilsfähigkeit
Ein Mensch kann niemals Milliarden Optionen durchrechnen, damit ein optimales Ergebnis erreicht wird – er braucht es auch nicht, weil er Urteilsfähigkeit besitzt, um richtige Entscheidungen zu treffen. Diese besondere Eigenschaft geht einher mit Wissen, Erfahrung und Intuition.
3. Menschlichkeit und Wertschätzung
Gesehen werden, gehört werden, anerkannt und geschätzt werden – das ist die eigentliche Basis für dauerhafte, belastbare Beziehungen. Große Unternehmen sehen in Menschen nur austauschbare Ressourcen, erfolgreiche Organisationen dagegen bauen auf den Menschen als Individuum, das seine eigenen Talente hat, die es gilt, zu fördern und zu entwickeln, zum Wohl der ganzen Organisation.
4. Menschlichkeit und Lebenserfahrung
Ersetzt der Zugriff einer KI auf Milliarden Daten Lebenserfahrung? Schafft er Bewusstsein? Oder schafft er nur eine Simulation davon? Zu Lebenserfahrung gehört der Irrtum. Die falsche Entscheidung. Oder der Zufall als eine feste Konstante unseres Lebens – allen Strategien zur Risikominimierung zum Trotz. Auch das Hinfallen und das Wiederaufstehen gehört zum Leben. Nicht die Perfektion – sie ist nicht menschlich.
5. Menschlichkeit und Solidarität
Solidarität ist das, was erfolgreiche Organisationen, politische Systeme und ganze Gesellschaften auch unter Belastungen zusammenhält. Solidarität ist eine Eigenschaft, die weit über monetäre Erwägungen hinausgeht, weil sie Elemente der Wertschätzung, Fürsorge und Sinn enthält – etwas, das Menschen resilient macht gegenüber Belastungen, Herausforderungen und auch Gefahren. Im Begriff der Solidarität zeigt sich Menschlichkeit in ihrer ursprünglichen Form. Erfolgreiche Unternehmensgründer haben früh verstanden, dass unternehmerischer Erfolg auf der Solidarität zwischen den Mitarbeitern und der Unternehmensleitung aufbaut. Es ist in jeder Organisation wichtig, dem Einzelnen ein Gefühl zu geben, als Mensch, als Individuum Teil von etwas zu sein, aufgehoben und zugleich geschützt. Es ist das Grundbedürfnis als Mensch.
KI und Menschlichkeit - what next? Zusammenfassung und Ausblick:
Eines wird schon jetzt klar: KI bedeutet Umbruch – aber auch bewusste Grenzziehung zwischen Wirklichkeit und digitaler Fantasie. Wir stehen am Anfang einer neuen industriellen Revolution, deren Verlauf ehrlicherweise nicht vorhersehbar ist, aber Möglichkeiten eröffnet – wofür und wohin bleibt offen. Die Arbeitswelt der Zukunft mit weniger verfügbaren, qualifizierten Arbeitskräften wird eine andere sein als heute. KI-Systeme sind Werkzeuge des Menschen zur Lösungsfindung, aber keine Partner im Miteinander. Das bleibt in Zukunft nur der Mensch dem Menschen selbst. Konsequenterweise ist mehr Menschlichkeit im Miteinander daher die wahre Zukunft im Unternehmertum, aber auch in der offenen Gesellschaft, weil nur sie echte Nachhaltigkeit und Zusammenhalt erzeugt.
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